Wo dezentrale Läden die Bestlage überholen

Entwicklungen in den USA sind oft Vorboten für Europa. Manuel Jahn, Geschäftsführer bei Habona, rät daher zu einem genauen Blick auf New York. Dort leiden die teuren Flaniermeilen, während Aldi expandiert.

Das kleine Reisefenster in die USA, das Joe Biden uns Europäern zu Weihnachten geschenkt hatte, lud zum gedankenverlorenen Einkaufsbummel im „Big Apple“ ein. Für mich wurde es eine zweiwöchige Expedition zu den Menschen in die Bezirke der Stadt, die täglich um Normalität kämpfen.

In der Vorweihnachtszeit machte Corona in den USA kurz einmal Pause. Und die New Yorker zeigten, dass sie sich in ihre zentralen Stadtviertel Midtown, Broadway und Co. zurücksehnten. Vor allem sehnten sie sich nach sehen und gesehen werden. Denn während sich das staunende Publikum auf den Gehwegen der teuren Lagen drängte, blieben die Läden und Kaufhäuser eigenartig leer. Profiteure der Seh-Leute waren die Cafés und Restaurants rund um den Times Square, die große Bühne der Stadt.

Der Anteil verwaister Ladenfronten in den New Yorker Top-Flaniermeilen Lexington Avenue, Fifth Avenue oder Lower Broadway wird vom New Yorker Handelsverband mit rund 25% angegeben. Kaum besser stehen die ehemals angesagten Flanierviertel Soho, Tribeca oder Meatpacking District da.

Das bunte Szeneviertel Greenwich Village in Manhattan allerdings schien mir bei meinem Besuch völlig unberührt von jedweder Krise; die Loyalität einer wohlhabenden Bewohnerschaft hält die lokale Nachfrage stabil. Aber auch in anderen Quartieren wie der Bronx, in Flushing oder auf Coney Island, wo nahe den U-Bahnhöfen jeweils Hunderte von Lädchen meist ethnisch geprägte, teilweise hochinteressante Nahversorgungsangebote zur Verfügung stellen, war kein Leerstand zu erkennen.

Laptop und Homeoffice halten die Menschen in ihren Häusern und ihren Coffeeshops. Expansive Lebensmittelhändler erkennen die Potenziale der Nachbarschaften und stoßen in die Lücken, die das Walmart Supercenter und der mexikanische Kiosk lange liegen ließen. Lidl und Aldi Süd etablieren sich mit großen, attraktiven Märkten auch in sozial schwachen Stadtteilen, Amazon drängt mit Whole Foods in die Aufsteigerviertel von Queens und Brooklyn. Gesucht werden – ganz unamerikanisch – integrierte Mixed-Use-Objekte zur Miete.

Wenn sich dezentrale Handelsstandorte in der Großstadt auf Dauer besser schlagen als die berühmten Flaniermeilen und die Läden in teuren Geschäftsvierteln, muss die Risikokategorie Core neu definiert werden. Fragen Sie sich selbst: Was ist das typische Merkmal eines Core-Investments? Hohe Miete oder sichere Vermietbarkeit?

Ein Beitrag aus der Immobilien Zeitung Nr. 3/2022 vom 20. Januar 2022
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